Schön, dass Sie heute wieder dabei sind bei unserer Vertiefung. Wir haben uns diesmal eine ziemlich spannende Sammlung von Dokumenten angeschaut. Da sind juristische Texte dabei, also Grundgesetz, Sozialgesetzbücher, klar. Aber auch Auszüge aus einem spezifischen Verfahren. L4 SO 17/25 ist das Aktenzeichen. Und eben auch sehr persönliche Sachen, Schriftsätze, Hintergrundinfos. Unsere Aufgabe heute, gerade wenn Sie aus der juristischen Praxis kommen, vielleicht als Richterin oder Richter, wir wollen versuchen, den juristischen Kern herauszufiltern. Was steckt da drin? Genau, und welche Implikationen hat das vielleicht für die Rechtspraxis? Es geht ja um dieses Spannungsfeld zwischen etablierten Normen und einer Fallschilderung, die ja doch ziemlich systemkritisch ist. Ja, und diese Mischung der Quellen ist das Interessante. Einerseits das formale Recht, GG, SGB, UNBRK, EU-Sachen. Richtig. Andererseits diese sehr zugespitzten, teils ironischen Eingaben des Klägers. Er nennt sich ja selbst wahnhafter Quirulant, in Anführungszeichen, wegen eines Gutachtens. Hm? Und er sieht eben eine systemische Diskriminierung, gerade bei Autismus-Spektrum-Störungen. Und juristisch spannend ist halt diese Lücke zwischen dem, was im Gesetz steht, dem Anspruch und dem, wie er das Funktionieren des Rechtsstaats erlebt. Okay, packen wir das mal aus. Im Zentrum steht ja dieser Konflikt. Es geht um Sozialleistungen, es geht um Teilhabe, um die Anerkennung als Mensch mit Autismus. Genau. Der Kläger kämpft dagegen Behörden, Sozialamt, Jobcenter, Kusel werden genannt, und auch Gerichte, SG Speyer, LSG Rheinland-Pfalz. Hm. Und er wirft denen einiges vor. Verfahrensfehler zum Beispiel. Dieses Splitting, sagt er. Seine Klage wurde wohl aufgeteilt S3 SO 11323 und S3 AS 17342. Obwohl der Beklagte derselbe ist. Genau, der Landkreis Kuse, identisch. Und er meint auch, der Streitgegenstand wird falsch verstanden. Ihm geht's um Teilhabe, nicht nur um eine Untätigkeitsklage. Und dann kommt noch dieses Gutachten dazu. Ja, das ist auch ein Punkt. Wahnhaftes Querulantentum, schizotypische Persönlichkeitsstörung. Das ist natürlich harter Tobak, und er sieht sich dadurch digmatisiert. Verständlich. Seine Argumente holt er sich aus den Grundrechten. Menschenwürde, klar, Artikel 1. Existenzminimum, Artikel 1, mit 20. Und effektiver Rechtsschutz, Artikel 19, Absatz 4. Und was mir da juristisch besonders auffällt, was vielleicht auch für andere Fälle relevant ist, wie stark er mit internationalem und europäischem Recht argumentiert. Ja, das stimmt. Die UNBRK wird immer wieder genannt. Genau, die Behindertenrechtskonvention. Und auch EU-Resolutionen, diese von 2023 zur Harmonisierung der Rechte von Menschen mit Autismus. Die 2023-27-28-RSP. Richtig. Das ist schon eine interessante Strategie, also nationales Sozialrecht über diese Ebene anzugreifen. Er spricht ja von strukturell bedingter, systemimmanenter Diskriminierung. Also, dass der Fehler quasi im System selbst liegt. So versteht er das ja. Und er beklagt auch eine mangelnde Gewaltenteilung im Sozialrecht. Sogar Kannbestimmungen wie §99 Absatz 3 SGB X würden genutzt, um Rechte auszuhebeln. Hm. Und seine Projekte, diese Patente, Zant, Razorblade, die führt er ja an, um zu zeigen, ich kann was, ich will teilhaben. Genau, als Beweis seiner Leistungsfähigkeit, die ihm aber, so seine Sicht, vom System verwehrt wird. Das Ganze geht aber noch weiter. Die Kritik zielt ja auch auf das Sozialsystem an sich. Also Hartz IV, jetzt Bürgergeld, das wird als Konstrukt zur Verwaltung von Armut bezeichnet. Hm. Sehr harte Worte. Ja, das missachte die Menschenwürde. Und auch die Sozialgerichtsbarkeit kriegt ihr Fett weg. Zu lange Verfahren, Überlastung, ungerechte Handhabung, was dann wieder den Zugang zum Recht gefährdet. Artikel 19 Absatz 4 GG, Artikel 13 UN-BRK. Genau. Und immer wieder der Punkt, man muss auf spezifische Bedürfnisse eingehen, gerade bei Autismus. Er plant ja sogar eine Beschwerde beim IGMR Mitte 2026. Und wenn man das jetzt mal auf eine Metaebene hebt, also für uns als Juristen, wie gewährleisten wir den effektiven Schutz für vulnerable Gruppen? Gerade wenn solche Vorwürfe im Raum stehen. Strukturelle Mängel, systemische Diskriminierung, das ist ja nicht einfach abzutun. Vor allem, wenn es so detailliert vorgetragen wird. Eben. Und da kommt die Amtsermittlungspflicht der Gerichte ins Spiel. Paragraf 103 SGG. Also, dass das Gericht den Sachverhalt selbst aufklären muss. Und den Vortrag der Parteien wirklich würdigen muss. Steht hier ja auch in der Kritik. Und man sieht diese Diskrepanz. Formal gibt es Rechte auf Eingliederungshilfe nach SGB X, auf Arbeit nach Artikel 27 UN-BRK. Aber die Realität, die hier geschildert wird, hohe Arbeitslosigkeit bei Autismus, Stigmatisierung, sieht anders aus. Das ist schon eine Herausforderung für die Gerichte, wie man mit solchen Fällen umgeht. Absolut. Also was können Sie jetzt aus dieser doch sehr dichten Materie mitnehmen? Die Unterlagen, die zeigen halt sehr eindrücklich dieses Ringen. Das Ringen um Rechtsdurchsetzung im Sozialstaat. Ja, das ist oft mühsam. Beanwendung von Grund- und Menschenrechten im konkreten Fall. Gerade wenn Behinderung, individuelle Bedürfnisse und eben auch fundamentale Systemkritik zusammenkommen. Und das wirft dann doch eine Kernfrage auf, die uns in der Praxis, vielleicht auch als Richter, beschäftigen sollte. Ist unser Rechtssystem, so wie es ist und vor allem, wie wir es anwenden, flexibel genug? Flexibel genug wofür? Naja, um auf solche sehr individuellen Bedürfnisse und gleichzeitig auf so fundiert wirkende Systemkritik angemessen zu reagieren. Ohne die Leute gleich in die Schublade querulant zu stecken. Genau das. Oder komplexe Anliegen auf einfache Leistungsklagen zu reduzieren. Das ist sicher eine Frage, die über diesen Fall hinausgeht und die zum Nachdenken anregt.